Exkursion: Kopenhagen

25.10. – 29.10.2016

 

Im Rahmen des Projektes „Urbane Agrikultur im Leipziger Westen“ identifizieren wir unter anderem lokale und regionale Kooperationen zwischen Lebensmittelproduzenten und anderen Akteurinnen. Dazu zählen insbesondere Akteurinnen der sogenannten „Außer-Haus-Verpflegung“, die sich an einer nachhaltigen Wertschöpfung orientieren und Herstellerinnen von Nischenprodukten im Lebensmittelbereich sowie Akteurinnen des Ernährungshandwerkes, die mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur soziokulturellen Weiterentwicklung der Stadtgesellschaft leisten wollen.

Besonders innovative Lösungen finden sich dabei im skandinavischen Raum. Exemplarisch dafür steht das bereits 2004 in Kopenhagen veröffentlichte „Neue Nordische Küchenmanifest“. Das Manifest setzt auf eine neue, kreative Kombination aus traditionellen kulinarischen Werten und zeitgenössischer Kochkunst. Hauptmerkmal der „Neuen Nordischen Küche“ ist die Verwendung alter, fast vergessener Produkte aus nachhaltigem, lokalem und regionalem Anbau sowie die Neuentdeckung klassischer Rezepte. Die Kombination aus alten Gemüsesorten, lange übersehenen Kräutern, Fleisch und Fisch aus ressourcenschonenden Quellen trat von Dänemark aus einen Siegeszug um die ganze Welt an. Organisiert und begleitet wurde die Exkursion von Pascal Rubertus.

 

Am ersten Tag besuchten wir einen Industriekomplex, der verschiedene Fachbetriebe zur Lebensmittelherstellung (Bäckerei, Brauerei, Pizzeria, Käserei) beherbergt. Dreh- und Angelpunkt ist das „Baest“, eine ökologisch-regionale Pizzeria mit eigenen Landwirtschaftsflächen vor den Toren der Stadt. Dort produzieren die Mitarbeiterinnen des Restaurants und der Bäckerei Lebensmittel für die Pizzeria und die Bäckerei. Im Rahmen der Exkursion hatten wir Gelegenheit uns mit den Betreibern über die Betriebsabläufe und den konzeptionellen Ansatz der Gewerke zu informieren.

 

Am zweiten Tag besuchten wir ein Pilzbauprojekt, welches Austernseitlinge in Säcken mit Substrat auf Kaffeesatzbasis produziert. Die Pilze werden im eigenen Geschäft vertrieben und an verschiedene Gastronomien verkauft. Das Substrat wird dabei von lokalen Cafés gesammelt. Dafür hat das Unternehmen eine offizielle Genehmigung der Stadt Kopenhagen zur Sammlung von Kompostabfällen erhalten. Produziert wird in zwei ausgedienten Überseecontainern, wobei einer als Anzucht- und Vorbereitungscontainer, der zweite als Wachstumskammer genutzt wird. Das verbrauchte Anzuchtsubstrat dient als Nahrung für Mehlwürmer, mit denen ebenfalls Nahrungsmittel hergestellt werden können.

 

Anschließend ging es auf die Dächer von Kopenhagen. Im Rahmen eines Stadtentwicklungsprojekts wurde das Parkdeck eines Bürokomplexes in Norrebro zu einem Dachgarten umgestaltet. Seitdem kümmert sich eine Gruppe von etwa 20 Personen um die etwa 800 Quadratmeter große Fläche. Das Gemeinschaftsprojekt „GRO“ ist eine Solidarische Landwirtschaft, die Gemüse anbaut und verteilt. Dabei bezieht die Gemeinschaft auch Gemüse von bio-dynamischen Landwirten im Umland oder sammelt gemeinsam Obst im öffentlichen Raum um daraus Saft zu pressen. In den Räumlichkeiten des Gewächshauses gibt es ein Restaurant, das auch als Veranstaltungsraum dient und eine Küche angegliedert hat.

 

Im Rahmen der Exkursion trafen wir Lasse Christensen. Er ist Mitinitiator von „Bioteket“, einem Kulturangebot, das Jugendlichen die grünen Seiten der Stadt Kopenhagen näher bringen möchte. In diesem Zusammenhang ist Christensen auch in mehrere urbane Landwirtschaftsprojekte in Kopenhagen involviert und begleitete uns auf einer zweitägigen Fahrradtour zu verschiedenen Projekten in der Stadt.

Das Projekt „Bioteket“ wird vor allem auf dem Gelände des Osram Culture Centres, in einem auf zwei Überseecontainern errichteten Gewächshaus entwickelt. In diesen Containern wird mit Aqua-Terra-Ponic und vertikaler Hydroponic experimentiert. Wir hatten die Möglichkeit, uns in einem Fachgespräch mit Lasse Christensen über den aktuellen Stand und mögliche Anbauweisen zu unterhalten. Darüber hinaus tauschten wir uns über gemeinsame Herausforderungen der ANNALINDE gGmbH und des Projekts „Bioteket“ aus.

 

Fahrradtour I
Start der Fahrratour war Lersøgrøften, ein interkulturellen Nachbarschaftsgarten in einer zwischen Bahngleisen und Kleingartenanlage gelegenen Brachfläche. Mehr als 150 Teilnehmerinnen kümmern sich hier selbstständig um jeweils zwölf Quadratmeter große Parzellen. Anliegend am Interkulturellen Garten plant Lasse Christensen den Anbau von Babyleaf-Salaten für die Gastronomie. Inspirieren ließ er sich von Edward Colemans kleinteiliger Anbauweise.

 

Weiter ging es zu „Linjens Byhave“, einer Künstlerresidenz die aus etwa 20 Überseecontainern gebaut wurde und sich unter einer Hochbahn und zwischen benachbarten Industriegebäuden befindet. Ein kleiner Garten, Gewächshaus und Hühner dienen der teilweisen Selbstversorgung der Künstlerinnen. Daneben gib es diverse Werkstätten und Materiallager.

 

Die nächste Station war „Baghaven“, ein von der Stadt Kopenhagen initiierter offener Nachbarschaftsgarten auf einem Parkstreifen in Norrebro. Dort kümmert sich eine Gruppe von etwa zehn Leuten gemeinschaftlich um Pflege und Ernte der Beete. Baghavenist vor allem sozialer Treffpunkt, insbesondere für die Anwohnerinnen.

 

Bevor wir zu einem abschließenden Gespräch wieder zu „Bioteket“ zurückkehrten, besuchten wir das Büro der Firma „Tagtomat“, die zwar kein eigenes Gemüse anbaut, sondern vor allem verschiedene Pflanzengefäße für Urban Gardening-Projekte vertreibt. Ursprung war die Anlage eines Nachbarschaftsgartens im Innenhof des Initiators. Mittlerweile ist „Tagtomat“ Dienstleister für innerstädtische Pflanzeninstallationen und Landschaftsplanung, insbesondere für versiegelte Flächen. Aktuell arbeitet die Firma auch an verschiedenen Indoor-Bepflanzungs-Systemen. Aus bisher selbst initiierten und umgesetzten Projekten wurde ein Handbuch erstellt.

 

Fahrradtour II

Der zweite Tag der Fahrradtour brachte uns aus dem Stadtteil Norrebro heraus. Ziel war das neue Gelände des Restaurants „Noma“. Das „Noma“ steht wie kein anderes Restaurant für die „Neue Nordische Küche“. Auf dem neuen Gelände ist die Entwicklung eines Gartenrestaurants geplant.

 

Bevor wir uns auf den Weg machten, besuchten wir den „Königlichen Park“ am Frederiksborg Schloss. Im Garten findet sich ein Gewächshäuser umgeben von mehreren Hochbeeten. Die parkähnliche Gartenanlage wird von Mitarbeiterinnen des Parks bewirtschaftet.

 

Auf dem weiteren Weg zum neuen Gelände des „Noma“ passierten wir den aktuellen Standort samt Fermentationslaborcontainern, den Kopenhagener FoodMarket und eines der ersten Projekte von Lasse Christiansen: Die Gastronomie „Kålgarden” mit angegliedertem Garten in klassischem Urban Gardening-Look mit Hochbeeten aus den typischen Aufbaurahmen. Das „Kålgarden” war auch eines der ersten Projekte dieser Art in Kopenhagen.

 

Schließlich erreichten wir das neue Gelände des „Noma“, ein etwa 2.500 Quadratmeter großer einstöckiger, ehemals militärisch genutzter Betonbau, der derzeit vor allem durch informelle und alternative Nutzungen, etwa Grafittiart, sommerliche Raves oder als Unterkunft für Obdachlose, genutzt wird.

„Noma“ ist eines der bekanntesten Restaurants in Kopenhagen. Mit einer kreativen Interpretation der nordischen Küche, die ganzheitlich, regional und mit nachhaltigem Konzept arbeitet, schaffte es das „Noma“ mehrfach unter die Top-Fünf der weltweit besten Restaurants. Auf dem neuen Gelände sollen die verschiedenen Küchen, das Fermentationslabor, die eigene urbane Landwirtschaft, sowie eventuell eine Binnenfischerei und natürlich das Restaurant ihren Platz finden.

 

Zum Abschluss stand ein Besuch beim direkt am Hafen gelegenen Restaurant ”Amass” an. Hier ist seit zwei Jahren ebenfalls ein urbanes Landwirtschaftsprojekt mit etwa 50 Hochbeeten und einem noch umzusetzenden Aquaponik-Gewächshaus angegliedert.

Den letzten Abend unserer Exkursion verbrachten wir bei einer Diskussion mit der Jugendgruppe von Slow Food Kopenhagen im Gewächshaus von „Bioteket“.

 

Fazit

Zu einer nachhaltigen regionalen Ernährungswirtschaft einer Stadt gehören, wie wir erfahren haben, neben verarbeitenden Gewerben von landwirtschaftlichen Produkten auch eine gewisse Esskultur. Dazu muss sich zunächst die lokale Gastronomie mit den Produkten und deren Ursprung auseinandersetzen. Die Kopenhagener Beispiele verdeutlichen eindrucksvoll, wie regionale Produktionsweisen durch die Förderung regionaler, an Kleinräumigkeit sowie an Umwelt- und Sozialverträglichkeit orientierten Strukturen des Wirtschaftens und Lebens entwickelt und umgesetzt werden.